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5.21 Tobias Zielony
Hurd’s Bank

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5.21 Tobias Zielony
Hurd’s Bank
15.10.–14.12.21
Der Blick durch ein Teleskop funktioniert als Verlängerung und symbolische Prothese für das menschliche Auge. Es bringt etwas Entferntes für das Auge nah genug heran, um das Objekt überhaupt als Ganzes oder dessen Details erkennen zu können. Mehr
Dabei zeigt der runde Ausschnitt immer nur einen Teil des Ganzen und verschwimmt zunehmend an den schwarzen Rändern. Eine solch statische Aufnahme durch ein Teleskop setzt Tobias Zielony als filmisches Gestaltungsmittel bei der Videoarbeit Hurd’s Bank (2019) ein, die als Auftragsarbeit des Kunstraums Blitz in Valletta auf Malta entstanden ist. Ausgestattet mit einer Kamera und einem aufgesetzten Teleskop filmte der Künstler den Schiffsverkehr an der Hurd’s Bank, eine Untiefe außerhalb der 12-Meilen Zone, die unter anderem als Umschlagplatz für den Ölschmuggel aus Libyen (und anderen Häfen bzw. Staaten) bekannt ist – eine Art maritimes Darknet. Es tauchen schemenhafte Umrisse von vorbeifahrenden Motorbooten und Containerschiffen, unzählige Lichter und Leuchtpunkte, Schiffsarbeiter bei der Pause auf. Alles wird von der Dunkelheit verschluckt, bleibt aufgrund der Entfernung und Unschärfe vage. So verschwimmen die Bewegtbilder vor dem Auge des Betrachters und ergeben ein maritimes Logbuch ohne eindeutige Referenzpunkte über die geografische Lage oder die Schiffe selbst offen zu legen.

Ein fiktionaler Sprecher berichtet fragmentarisch von seinen Beobachtungen und Erfahrungen während seines Aufenthalts auf Malta. Der eigentliche Erzählstrang rekonstruiert den bis heute nicht gänzlich aufgeklärten Mord an der Journalistin Daphne Caruana Galizia (2017), sucht nach Erklärungen und spekuliert über die undurchsichtigen Zusammenhänge von politischer Korruption und Mafia, aber auch über die politische Rolle Maltas an der Außengrenze der EU. In seinem Monolog hinterfragt die Hauptfigur „Wer wollte ihren Tod? Und warum? Die Menschen, die versuchen diese Fragen zu lösen, leben in ständiger Gefahr. Etwas Zähflüssiges und Undurchdringliches liegt vor meinen Augen. Ich hoffe, dass diese Trübung eher etwas verbirgt, anstatt die Antwort selbst zu sein.“ Denn die Journalistin hatte zuletzt Korruptionsvorwürfe gegen Mitglieder der Regierung erhoben sowie den lukrativen Handel mit maltesischen Pässen aufgedeckt. Nachzulesen waren ihre Beiträge auf ihrem Blog und sie hatte sich damit zahlreiche Feinde gemacht – insbesondere unter der politischen Elite des Inselstaats. Auch wenn es mittlerweile eine umfangreiche Untersuchung zur Ermordung gab und Teil-Verantwortlichkeiten für den Mord beim maltesischen Staat gesehen werden, bleibt am Ende die Frage nach den realpolitischen Hintergründen.

An mehreren Stellen des Monologs wird die Dialektik des Sichtbaren und Unsichtbaren aufgegriffen: „Ich frage mich, ob das bloße Anschauen eines Schiffes schon gefährlich sein könnte? Das Teleskop verwischt die Grenzen zwischen Distanz und Nähe, Risiko und Sicherheit, Bewegung und Stille.“ oder weiter heißt es: „Wenn ich das Teleskop an die Kamera anschließe und auf den Hafen richte, sehe ich zunächst nichts. Das Bildrauschen der Kamera vermischt sich mit dem regungslosen Wasser, magenta und schwarz. Die Lichtpunkte machen keinen Sinn. Was schaue ich mir eigentlich gerade an?“. Damit bringt es der Künstler selbst auf dem Punkt, indem er den Akt des Beobachtens und das Teleskop als Bildgenerierendes Medium verwendet, um im Sinne einer medialen Metareflexion, ein Resonanzbild für das Opake und das-unter-der-Oberfläche-liegende abseits des legalen Raumes zu kreieren. Wie bei seinen Fotografien und anderen Videoarbeiten bewegt sich der Künstler zwischen Dokumentation und Fiktion, Beobachtung und Behauptung, Inszenierung und Dekonstruktion. Geradezu unspektakulär und in der Schwebe haltend verhandelt Zielony sowohl die persönlichen als auch die politischen Aspekte eines Auftragsmordes – spekuliert über die dunklen Zwischenräume, welche das Land, die Geschichte und Menschen möglicherweise prägen und kollektiv erinnern werden.

Seit vielen Jahren richtet Tobias Zielony seinen Blick auf jugendliche Subkulturen und Randgruppen der Gesellschaft, die er zumeist in ihrem sozialen Umfeld ablichtet. Seine Fotoserien haben oft einen konkreten Ort als Ausgangspunkt. Von dort aus begibt sich der Künstler auf eine visuelle Spurensuche, nähert sich behutsam den Menschen, deren Alltagspraktiken und Codes, erforscht deren Habitus und Status. Indem Zielony auf unterschiedliche Mittel der Bildreportage zurückgreift, sind seine Fotografien immer von einer besonderen Intimität und direkter Nähe geprägt. Über seine Protagonist*innen als Motive beschäftigt sich der Künstler mit politischen und sozialen Fragestellungen in einer globalisierten Gesellschaft, aber reflektiert immer auch das Medium Bild als ein Phänomen unserer Zeit. Seit 2006 entstehen vermehrt Videos und Stop-Motion-Filme, die zu Beginn motivisch oftmals noch eng mit den Fotoserien verknüpft sind. Die späteren, filmischen Arbeiten gewinnen an künstlerischer Eigenständigkeit, umkreisen und involvieren teilweise gesellschaftlich marginalisierte Communities, und loten dabei die Grenzen zwischen Dokumentation und Fiktion aus, um über die entstehenden Zwischenräume alternative Narrative zu erschaffen.

Tobias Zielony (*1973 in Wuppertal) studierte von 1998 bis 2001 Dokumentarfotografie an der University of Wales. 2001 schloss er dort sein Studium ab und wurde Meisterschüler bei Timm Rautert an der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig. Zielony hatte bereits zahlreiche Einzelausstellungen zuletzt im Museum Folkwang Essen (2021), im Kunstraum Blitz, Valletta/Malta (2019), im Von der Heydt-Museum, Wuppertal (2017) und in der Berlinischen Galerie (2013). Außerdem war er an verschiedenen Gruppenausstellungen und Biennalen beteiligt darunter an der 11. Seoul Mediacity Biennale (2021), in der Kunsthalle Exnergasse, Wien (2020), in der Julia Stoschek Collection, Düsseldorf (2020), im Fotomuseum Winterthur (2019), an der RIBOCA1 Riga-Biennale (2018) und an der 56. Venedig Biennale, Deutscher Pavillon (2015).

Hurd’s Bank, 2019
1-Kanal HD Video, Farbe, Ton
14:55 Min.
Courtesy der Künstler und KOW, Berlin
Text Cynthia Krell
Übersetzung Amy Patton
Foto Ines Könitz

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