ajh.pm

22.25 Dani Gal
Dark Continent

1/4Still
2/4Still
3/4Still
4/4Still
22.25 Dani Gal
Dark Continent
15.4.–1.7.25
Frantz Fanon betritt eine Bibliothek. „Wir haben geschlossen“, mault ihn der Bibliothekar hinter dem Tresen mit unverhohlen rassistischer Überheblichkeit an. Schnell schaltet er das Kofferradio aus und klappt ein Briefmarkenalbum zu, mit dem er sich gerade noch die Zeit vertrieben hat. Der Besucher aber lässt sich vom feindseligen und herabsetzenden Ton nicht beirren, schließlich sei die Bibliothek ja bis sieben Uhr geöffnet, erwidert er, und sowieso habe er ja eine Anfrage gestellt. Mehr
„Die Saint-Yile-Bänder“, sagt der Bibliothekar erstaunt, als er den Vermerk zu dieser Anfrage aus seinem Karteikasten kramt, bevor er nach hinten verschwindet und – nicht ohne darauf zu verweisen, dass diese Bestände sich normalerweise unter Verschluss befänden – alsbald mit einem Tonbandgerät und mehreren Bändern wieder auftaucht. 

Die Geschichte, die nun zu hören und zu sehen ist, nachdem Frantz Fanon das Band eingefädelt, die Kopfhörer über die Ohren gezogen und die Starttaste gedrückt hat, entnimmt Dani Gal für seinen Film Dark Continent von 2023 in leicht dramatisierter Form direkt aus Schwarze Haut, weiße Masken, jenem Buch, mit dem der in Martinique geborene Psychiater, Autor und Aktivist Fanon 1952 schlagartig berühmt wurde und zum analytisch-scharfen und wortgewandten Vordenker und frühen Theoretiker der Dekolonisation aufstieg. Es handelt sich um eine Fallstudie aus der Psychiatrie, die von einer jungen weißen Französin berichtet, die an seltsamen körperlichen Ticks leidet, einem Zwinkern der Augen und schaukelstuhlartigem Wippen mit den Füßen, und die zudem abstrakte kreisförmige Halluzinationen sieht und „afrikanische“ Trommelmusik zu hören meint. Der behandelte Arzt heilt die Frau schließlich in einer Art Klartraum-Therapie: Die Kreise zerbrechen, werden durchgestrichen und verschwinden, das polyrhythmische Trommeln wird durch klare Walzertakte ersetzt.  

Dani Gal erzählt uns diese Geschichte einer Heimsuchung und ihrer Heilung, die mit den fragwürdigen Mitteln von Auslöschung und Überschreibung eine europäische Ordentlichkeit (wieder-)herstellt, auf mehreren, elaboriert miteinander verschränkten diegetischen Ebenen, die zusammengehalten wie durchbrochen werden vom Klang, dessen (technischer) Übertragung sowie seiner bildhaften Symbolisierung. Der Film nimmt dabei selbst die Struktur konzentrisch nach außen sich ausbreitender Kreise an, wie sie sich als zentrumsloses Movens und grafische Visualisierung der Halluzinationen der jungen Frau an seinem erzählerischen Ursprung finden. In der Dramatisierung des Materials wird die Grenze zwischen filmischer Fiktion und realer Begebenheit brüchig: Wir sehen einen tatsächlichen und verbürgten, aber mit filmischen Mitteln stilisierten Fall, der wiederum über eine fiktive Rahmenhandlung kolportiert wird, die den real existierenden Autor Frantz Fanon bei der imaginierten Recherche eben jener Geschichte zeigt, die gerade erzählt wird. Analog brechen an der Figur der weißen, aber passiven und unweigerlich objektivierten jungen Frau – der behandelte Arzt zitiert an einer Stelle gar Sigmund Freuds Ausspruch, Frauen blieben ein „dunkler Kontinent“ – scharf gezogene Grenzen zwischen zugeschriebenen Rollen auf: Kategorien wie die zwischen Täter*in und Opfer werden verkompliziert.

Gerahmt wird dieses Hin und Her, dieses Ping-Pong zwischen den Ebenen und Positionen von einem Prolog und einem Epilog, die den echokammerartig aufgebauten Film mit einer vierten und äußersten Schicht versorgen und ihn medientechnisch wie -theoretisch verklammern. Bevor nämlich der fiktive Frantz Fanon die Bibliothek betritt, hat uns die Kamera durch das (ebenfalls runde) Glas einer Lupe die Briefmarken des Bibliothekars gezeigt. Darauf zu sehen: Radios, Tonbandgeräte, Lautsprecher, Sendemasten mit konzentrischen Kreisen, die sich um die Spitze herum ausbreiten und die Radiowellen und Übertragungen symbolisieren. Es sind Bilder des Klangs, die in Form von Briefmarken ihrerseits stellvertretend für ein weiteres Kommunikationsmedium stehen. 

Passend dazu erklingt im Prolog aus einem Kofferradio just jener „Schneewalzer“, den Fanon in Schwarze Haut, weiße Masken erwähnt und mit dem die Patientin später die Trommelklänge zu überdecken lernt. Zudem lässt Dani Gal die Stimme seines Erzählers von einem Artikel berichten, den Nana Amoah III., König der Goldküste, wie das unter britischer Kolonialherrschaft stehende Ghana damals genannt wurde, 1928 veröffentlichte und in dem davon die Rede ist, dass es in Afrika schon lange vor dem Radio ein weitentwickeltes und ausgefeiltes Kommunikationsmedium gegeben habe, nämlich die Trommel, mit der man komplexe, rhythmisch kodifizierte Nachrichten übers Land schicken konnte. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass die Kolonialmächte und Sklavenhalter diese Trommeln schnell verboten, fürchteten sie doch, man könne mit ihnen revolutionäre, aufrührerische Botschaften verbreiten. Im Epilog übernimmt das Kofferradio schließlich eine zentrale Rolle bei der Auflösung der Geschichte hinter der psychischen Erkrankung der Patientin. Deren Vater nämlich – gespielt vom selben Schauspieler wie der rassistische Bibliothekar zu Beginn – war als Angehöriger der französischen Kolonialarmeen in Afrika im Einsatz. Abend für Abend hörte er über sein Radio „afrikanische“ Trommelmusik, die durch die Dunkelheit bis an das Ohr seiner Tochter drang. Im Film erklingt dazu aus dem Radio nun statt eines Walzers die dezidiert perkussive, mit viel Hall versehene Musik des Komponisten und Musikers Tyshawn Sorey. 

Die kollektive Gewalt- und Unterdrückungsgeschichte des Kolonialismus taucht als historische Bedingung der individuellen psychischen Erkrankung in Dark Continent entsprechend also vor allem über die Ebene des Klangs auf. Der Ton vermag die Bilder zu durchdringen und in seiner Unfixierbarkeit Spielräume zu eröffnen. Er kann das Festgefügte durcheinanderbringen, als „Anwesend-Abwesendes“ Vergangenes in die Gegenwart transportieren und Gegenwärtiges mit der Vergangenheit rückkoppeln, auf dass das Verdrängte im Verdrängenden wiederkehrt, das eine Medium im anderen, die Trommel im Radio, der Klang im Bild. Und so hallen, von einem leeren Zentrum ausgehend, allerlei Echos durch Dani Gals Film und überbrücken Generationen, Zeiten und Kontinente. Wellen überlagern sich, löschen sich in Interferenzen erst aus und verstärken sich dann. Geschichte wird dabei sichtbar als umkämpftes, von Macht, Gewalt und Unterdrückung strukturiertes Resonanzfeld, in dessen Hallräumen die Geister hin- und herwandern – und dabei bisweilen auch durch jene Wände gehen, die nicht nur diese Räume, sondern auch uns voneinander trennen, die wir sie bewohnen.

Der Künstler Dani Gal studierte an der Bezalel Academy of Arts and Design in Jerusalem, der Staatlichen Hochschule für Bildende Künste Städelschule in Frankfurt am Main und an der Cooper Union in New York. Seine Filme und Arbeiten wurden in zahlreichen Ausstellungen gezeigt, darunter auf der documenta 14, Kassel und Athen (2017), im Centre Pompidou, Paris (2018 und 2023), dem steirischen herbst in Graz (2023) oder in der Polygon Gallery, Vancouver (2024). 2019 war Gal Artist-in-Residence bei Blood Mountain Projects und Forschungsstipendiat am Wiener Wiesenthal Institut für Holocaust-Studies. 2024 war er Fellow bei inherit im Centre for Advanced Studies der Humboldt-Universität zu Berlin. Dani Gal lebt und arbeitet in Berlin.

Text Dominikus Müller

Dark Continent, 2023
Video, 4K, 25 Min.
Drehbuch und Regie Dani Gal
Mit Yoli Fuller, Maj-Britt Klenke, J. David Hinzeund Patrick Joswig
Kamera Itay Marom
Produktion Kirberg Motors und Dani Gal
Courtesy der Künstler und Kadel Willborn, Düsseldorf

 

Schließen