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11.22 Omer Fast
Garage Sale

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11.22 Omer Fast
Garage Sale
28.10.–18.12.22
Omer Fast ist Künstler und Filmemacher. Ein Großteil seiner Arbeit befasst sich mit der psychologischen Struktur von Traumata. Dabei fokussiert er auf das Verwischen von Erinnerungen sowie das Nacherzählen aktueller oder historischer Ereignisse. Seine künstlerischen Videos untergraben die formalen Vorgaben diverser Filmgenres und hinterfragen das analoge wie auch das digitale Bild als Medium zur Verbreitung von Information. In seiner Arbeit als Filmemacher definiert er, ausgehend von einem historischen Ereignis oder einem aktuellen Referenzpunkt, ein neues Verhältnis zwischen Realität und Fiktion. Mehr
Omer Fast interessiert sich für die Konstruktion von Erzählungen, insbesondere dafür, wie sich Geschichten verändern, wenn sie polyperspektivisch und vielstimmig erzählt werden. Er hat eine Vorliebe für filmische Stilmittel wie die Vermischung der Erzählebenen, veränderte Zeitstrukturen, den Wechsel zwischen Filmhandlung und Produktionsset oder das Reenactment. So entstehen verdichtete Bildwelten, die den Prozess der Geschichtsschreibung und des kollektiven Gedächtnisses verhandeln. In seinen Filmen beschäftigt er sich immer wieder mit dem Erinnern als einem Grundpfeiler der menschlichen Identität (Remainder, 2015) oder dem Umgang mit tragischen Ereignissen in Familien und psychologischen Bewältigungsstrategien, die teils absurde Züge in sich tragen (Continuity, 2012). In August (2016) widmet sich Fast dem Leben und Werk des Kölner Jahrhundertfotografen August Sander (1876–1964), der in traumartigen Sequenzen am Ende seines Lebens seinem verstorbenen Sohn und den Figuren begegnet, die er fotografiert hat. In seinen jüngsten Filmprojekten, etwa in The Invisible Hand (2018), experimentiert der Künstler auch mit VR und digitalen Technologien. Präsentiert werden diese Filme oft in dafür gestalteten Rauminstallationen, die durch ihre kulissenartigen Settings ein theatralisch-filmisches Moment in sich tragen und die Besucher*innen selbst zu Akteur*innen werden lassen. 

Fasts Film Garage Sale beginnt mit einem stark verpixelten Bild. Durch einen Zoom-Out werden die Pixel kleiner, die Umrisse von Personen in einem Innenraum deutlich erkennbar. Der Ausschnitt zeigt einen Spiegel als Bild im Bild, ein Detail aus dem sehr bekannten Doppelporträt Arnolfini-Hochzeit des flämischen Malers Jan van Eyck. Dieses entstand 1434 und ist heute in der National Gallery in London zu besichtigen. Zu sehen sind der italienische Kaufmann Giovanni di Nicolao Arnolfini und seine Braut. Die kunsthistorischen Deutungen, ob es sich dabei um eine Vermählung oder Verlobung handelt, sind bis heute umstritten. Auf der Tonebene ist permanent ein fotografisches Klicken zu hören, das den Akt des analogen Fotografierens nachahmt. Eine weibliche Stimme berichtet detailreich von der Faszination für das Gemälde und spricht über ein gescheitertes Projekt. Unterbrochen wird der Erzählfluss während des ganzen Films von knappen Anweisungen an eine dritte Person, die die Kamera bedient. Ein Kameraschwenk macht das Gemälde auf einem Puzzlecover sichtbar; durch weitere Klicks eröffnet sich der gesamte Schauplatz: ein Garagenflohmarkt mit einem Sammelsurium von nicht mehr gewollten, unnützen oder kuriosen Gegenständen in einer Vorstadt von New Jersey. Innerhalb weniger Minuten spannt die Erzählerin einen Bogen, der von van Eycks Gemälde bis zum deutsch-jüdischen Kunsthistoriker Erwin Panofsky reicht, der sich intensiv mit dem Bild beschäftigte und es im Jahre 1934 interpretierte. Mit der Nahaufnahme eines Fotos einer Doppelhaushälfte in Hannover, die einer Verwandten des Ehemannes der Erzählerin gehört, vollzieht sich im Film ein Schauplatzwechsel: Dort sitzt Tante Klara in ihrem Wohnzimmer und blättert in einem Fotoalbum.

Nach dieser Eingangsszene entwickelt sich eine komplexe und in sich verschachtelte Rahmenhandlung, die über mehrere Erzählebenen verschiedene Zeiten, (Familien-)Geschichten und Biografien, Diskurse über kulturelles Erbe, Migration und Rassismus, aber auch Objekte/Artefakte und historische Persönlichkeiten miteinander verknüpft. Ein Erzählstrang widmet sich der Frage des Umgangs mit traumatischen Ereignissen in einer Familie und wie die Erinnerung an solche Ereignisse – mal mehr verschwiegen, mal weniger ausgeschmückt – von einer Generation an die nächste weitergegeben wird. Im Film Garage Sale fungiert ein Doppelporträt von zwei Männern in SS-Uniform – Onkel Benno und Onkel Manfred – vor einer Doppelhaushälfte in Hannover als Spalt in die Vergangenheit. Plötzlich wird die Schwarzweißfotografie durch den Einsatz von Schauspieler*innen in Form eines Reenactments lebendig. Mehr Details über die konkrete Vergangenheit im Nationalsozialismus oder die Involviertheit der Verwandten werden nicht verraten. Die Protagonistin kontempliert jedoch über einen „kurzen, samtigen Moment, indem es von widersprüchlichen Möglichkeiten wimmelte“. Geprägt ist diese Szene vom gemeinsamen Schweigen bei der Betrachtung des Fotos. Sie stellt eine Reihe von offenen Fragen, die nicht beantwortet werden, sondern vielmehr auf eine Resonanz von Seiten der Rezipient*innen zu warten scheinen.

Eine Postkarte des Arnolfini-Doppelporträts auf einem Bücherregal leitet schließlich in einen kunsthistorischen Exkurs zu Erwin Panofskys Interpretation über. Im Anschluss wechselt der Schauplatz wieder zurück in die Vorstadt von New Jersey: Karen, die weiße Hausbesitzerin, trägt einen Karton mit einem Familienerbstück ihres Ehemannes Ted auf den Garagenflohmarkt heraus. Es handelt sich um die Figur eines schwarzen Jockeys, eine rassistisch anmutende Gartendekoration. Leona, eine afroamerikanische Nachbarin, blickt in den Karton und entdeckt das toxische Objekt. Daraufhin entschuldigt sich Karen für diesen Gegenstand, doch Leona besteht darauf, den Jockey zu kaufen, und lässt sich auch von Ted nicht daran hindern. Am selben Abend bringt sie den Karton mit der Figur jedoch wieder zurück. Die Erzählerin berichtet im Nachgang von einem Zoom-Gespräch mit Leona, der Hauptfigur ihres gescheiterten Projekts, und konstatiert schließlich, gerichtet an die Betrachter*innen: „Das Zoom-Gespräch hat nie stattgefunden. Die ganze Geschichte war völlig frei erfunden.“ Damit bleibt alles offen und der Künstler lässt das narrative Kartenhaus im Kopf der Betrachter*innen wieder zusammenfallen. An dieser Stelle wird auch die Doppelrolle der Erzählerin als Stellvertreterin des Künstlers selbst deutlich. Sie bleibt aufgrund ihrer Off-Stimme jedoch eine distanzierte Figur, die leichte Züge einer brechtschen Verfremdung trägt, da sie die Betrachter*innen mehrmals direkt anspricht, das Scheitern des Projektes kommentiert und den Erzählfluss kontinuierlich durch die Anweisungen unterbricht.

Am Ende vollzieht der Film eine kreisförmige Bewegung und fokussiert erneut das Gemälde von Jan van Eyck. Anhand einer Interpretation der amerikanischen Kunsthistorikerin Linda Seidel wird deutlich, dass das Tafelbild „eher die Darstellung einer Zukunftsvision denn eine Aufzeichnung vergangener Ereignisse, zumal des Austauschs des Ehegelübdes“ sei. Die wiederholte Begegnung und Auseinandersetzung mit dem Gemälde kann als Einladung des Filmemachers verstanden werden, sich solche Momente im eigenen Leben oder insbesondere in der Kunst zu vergegenwärtigen: „Ein kurzer, samtiger Moment, in dem es von widersprüchlichen Möglichkeiten wimmelt.“

Gezeigt wird der Film als dreiteilige Projektion auf drei identischen Garagentoren, die im Raum jeweils frontal zum Schaufenster installiert sind. Von Zeit zu Zeit öffnet und schließt sich eines der Tore, einer unsichtbaren Dramaturgie folgend. Die visuelle Dreiteilung des Films erfordert nicht nur eine erhöhte Aufmerksamkeit der Betrachter*innen, sondern konfrontiert sie auch mit der Unmöglichkeit, alle drei Filme auf einmal wahrzunehmen. Das Garagentor taucht nicht nur im Film auf, sondern dient hier zugleich als Projektionsfläche und physisches Objekt im Raum. Insbesondere tagsüber wirken die Garagentore wie surreal anmutende Fremdkörper im Ausstellungsraum und regen, ihrer eigentlichen Funktion beraubt, zu Spekulation an. Für gewöhnlich werden Garagentore eher als unscheinbarer Bestandteile eines Gebäudes wahrgenommen, obwohl sie zum einen das Eigentum nach außen abgrenzen und zum anderen, in geöffnetem Zustand, den voyeuristischen Blick bedienen. 

Mit dem Film Garage Sale intendiert Omer Fast jedoch nicht, das Fiktive durch das Biografische bzw. Dokumentarische zu ersetzen. Vielmehr geht es ihm darum, die Räume und Zeiten hervorzuheben, die sich zwischen den Medien und Genres, zwischen analogem Bild und digitalem Bild, zwischen der Vergangenheit und Gegenwart oder zwischen dem individuellen und dem kollektiven Gedächtnis auftun. Es gilt, sie als Punkt(um) kenntlich zu machen, an dem Bruchstellen und Widersprüche sichtbar werden, damit Kritik und Selbstreflexion beginnen können.

Omer Fast (geboren 1972 in Jerusalem) verbrachte seine frühen Jahre zwischen Jerusalem und New York. Er erhielt einen BFA von der Tufts University und der School of the Museum of Fine Arts, Boston, und einen MFA vom Hunter College in New York City. Omer Fast hatte Einzelausstellungen u. a. in der Staatlichen Graphischen Sammlung, Pinakothek der Moderne, München (2021), im Salzburger Kunstverein (2019), im Times Museum, Guangzhou, China (2018), im STUK Leuven, Belgien (2017) und im Gropius Bau, Berlin (2016). Zudem nahm Omer Fast an zahlreichen Gruppenausstellungen und Biennalen teil, wie etwa an der 12. Berlin Biennale (2022), an der dOCUMENTA (13), Kassel (2012), an der 54. Biennale di Venezia (2011) sowie an der Whitney Biennale (2008/2002).

Eröffnung Fr 28.10.22, 19 Uhr
Einführung im Vortragssaal der Kunsthalle Bielefeld
Begrüßung Christina Végh, Cynthia Krell im Gespräch Omer Fast

Garage Sale, 2022
Installation mit drei Garagentoren, Maße variabel
Drei-Kanal-Video, Farbe, Ton
29:30 Min.
Courtesy der Künstler und Dvir Gallery, Tel Aviv/Brüssel/Paris, gb agency, Paris, und James Cohan, New York
Text Cynthia Krell
Übersetzung Amy Patton
Fotos Lukas Strebel
Drehbuch, Regie und Schnitt Omer Fast
Beauftragt von ajh.pm, Bielefeld, Deutschland und Seoul Museum of Art, Südkorea

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