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7.22 Tony Cokes
Evil.81: Is This Amrkkka?: DJ Joe Nice Speaks

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7.22 Tony Cokes
Evil.81: Is This Amrkkka?: DJ Joe Nice Speaks
15.2.–14.4.22
Seit den 1990er Jahren arbeitet der nordamerikanische Künstler Tony Cokes mit dem Videoessay als Medium. Dabei untersucht er Diskurse über den strukturellen Rassismus gegen schwarze Menschen, Gesellschaftskritik, Kapitalismus und Krieg und betrachtet diese sowohl in ihrer historischen als auch gegenwärtigen Dimension. Mehr
Cokes’ Videos bestehen vor allem aus Texten, die über ein Bild oder einen monochromen Hintergrund laufen und von Popmusik unterlegt werden. Der Künstler hat dafür ein eigenes Archiv aufgebaut, welches Bilder, Filme, Musikstücke und Texte aus den Massenmedien, dem Internet, der Popkultur, Politik und Philosophie versammelt. Grundlegend für seinen künstlerischen Ansatz ist die Entkopplung des Wortes vom Bild. Hierbei verfolgt Tony Cokes eine postkonzeptuelle Strategie im Umgang mit dem Zeichensystem Sprache und Bild, die ihren Ursprung in der Konzeptkunst der 1960er und 1970er Jahre hat. Diese Praxis lässt sich auf seine richtungsweisende Arbeit Black Celebration, 1988, zurückführen. Gezeigt werden dort Wochenschau-Ausschnitte von Aufständen der schwarzen Bevölkerung in Boston, Detroit, Newark und Watts im Jahr 1965, begleitet von Songs der kanadischen Industrial-Band Skinny Puppy. Die hier eingefügten Texte stammen unter anderem von Morrissey, Martin L. Gore, Barbara Kruger oder der Situationistischen Internationale. Durch seinen Prozess des Samplings und der Rekontextualisierung verweist er darauf, dass eine Dekonstruktion der Medien für jede Art von emanzipatorischer Politik und Empowerment elementar ist, um stereotypen Repräsentationen eine vielstimmige Lesart entgegenzusetzen.

Das Video Evil.81: Is This Amrkkka?: DJ Joe Nice Speaks, 2021, ist Teil seiner Evil-Serie, seit 2003 fortlaufend, die sich den widersprüchlichen Vorstellungen des Bösen in der Vergangenheit und Gegenwart widmet. Der hier zitierte Text, fragmentiert in einzelne Sätze und Fragen auf rotem und blauem Hintergrund, basiert auf einer Abschrift eines Video-Interviews mit dem afroamerikanischen DJ und „Botschafter“ des UK-Dubstep, Joe Nice. Aufgenommen wurde das Video anlässlich des tragischen Tods von Andrew Brown Jr., der am 21. April 2021 von weißen Polizisten in der Kleinstadt Elizabeth City, Northcarolina, erschossen wurde. In diesem Monolog verurteilt Joe Nice die fatalen Versäumnisse der Polizeiarbeit in schwarzen Gemeinden, stellt Fragen über offensichtliche Ungereimtheiten im Fall von Andrew Brown Jr., beschuldigt die Polizei und Justiz Beweismittel zu unterschlagen und somit den Fall zu verschleiern. Weiterhin klagt er über den historisch gewachsenen, strukturellen Rassismus gegen schwarze Menschen, wendet sich mehrmals an den amerikanischen Präsidenten Joe Biden und weitere liberale Politiker*innen, die sich in keinerlei Weise um die Belange und Interessen der schwarzen Bürger*innen kümmern würden. Sprachlich ist der Text von Wort-Wiederholungen und Fragen geprägt wie etwa „We demand justice. We demand justice now, we demand the release of these tapes of Andrew Brown Jr.“ oder „What are you doing for the people? More specifically, what are you doing for Black people?“. Daraus ergibt sich ein rhythmischer So(n)g der Beschuldigungen und Forderungen nach Aufklärung und Gerechtigkeit. 

Den Text kombiniert Tony Cokes mit Musikstücken aus über zehn verschiedenen Songs, teilweise handelt es sich um politisch motivierte Protestlieder im Rap-, Reggae- oder Dub-Stil. Zu hören sind Titel wie zum Beispiel „Can’t Trust It“ von Public Enemy, „Babylon Makes The Rules“ von Steel Pulse oder „Wicked“ von Ice Cube. Das Zusammenspiel der Lieder folgt einer festgelegten Dramaturgie des Künstlers und eröffnet dadurch ein popkulturelles wie politisches Narrativ (der afroamerikanischen Community), welches aufgrund seiner aktuellen Bezüge aus der Gegenwart heraus zu entschlüsseln ist. Durch die Verwendung von gegensätzlichen Text- und Tonelementen aus unterschiedlichen medialen Kontexten, schafft Tony Cokes in seinen Videoessays verdichtete Zeitkapseln und neue Narrative, die aufgrund ihres appellativen Charakters umso eindringlicher auf die Betrachter*innen einwirken. Denn im Zentrum dieser und den meisten Videoarbeiten aus der Evil-Serie umkreist der Künstler, die bis in die Gegenwart reichende Geschichte der Unsichtbarkeit (‚non-visibility‘) der Schwarzen in den USA sowie deren fehlende Repräsentation.

Das Bindeglied und die Rolle des Interpretators übernehmen die Betrachter*innen, da erst ihre sinnlich-räumliche Wahrnehmung ihnen Zeitlichkeit und körperliche Präsenz – insbesondere im öffentlichen Raum – verleiht. Doch mit der Gleichzeitigkeit und der Überlagerung von Text und Musik werden die Betrachter*innen auch beim Akt des Lesens und Hörens sowie dem Versuch des Verstehens permanent und bewusst überfordert. Es eröffnet sich dadurch zugleich eine Erfahrung der selektiven Wahrnehmung und vielstimmigen Interpretation. Dieser mehrdimensionale und ambivalente Ansatz, der in allen seinen Werken zu Tage tritt, verwendet Tony Cokes um das Exemplarische deutlich zu machen. So wie die Worte und Musik im Kopf nachhallen, umso mehr drängt sich die Forderung in den Vordergrund das eigene Denken und Handeln sowie die Fortschreibung hegemonialer Ordnungen und Geschichtsschreibung kritisch zu hinterfragen. 

Tony Cokes (*1956 in Richmond, Virginia, lebt und arbeitet in Providence, Rhode Island, US) ist Professor und Director of Undergraduate Studies im Department of Modern Culture and Media an der Brown University. Zuletzt hatte er international zahlreiche Einzelausstellungen, unter anderen in der Memorial Art Gallery, University of Rochester, New York (2021); im MACRO Contemporary Art Museum, Rom (2021); im MACBA Museu d’Art Contemporani de Barcelona (2020); im ARGOS centre für audiovisual arts, Brüssel (2020) und im BAK – basis voor actuele kunst, Utrecht (2020). Mit seinen Werken nahm er an verschiedenen Gruppenausstellungen und Screenings teil, darunter in der Kunsthalle Wien (2021); in La Casa Encendida, Madrid (2021); im Rahmen der 34. São Paulo Biennale (2021); an der School of the Art Institute of Chicago (2021) und in The Kitchen, New York (2020). Tony Cokes hat auch an vielen Medienkunst-Festivals teilgenommen, etwa am International Film Festival Rotterdam, an Rencontres Internationales Paris/Berlin/Madrid, an Freewaves Los Angeles sowie an den Internationalen Kurzfilmtagen Oberhausen. Das Haus der Kunst in Zusammenarbeit mit dem Kunstverein München widmet Tony Cokes die erste institutionelle Einzelausstellung in Deutschland (3.6.–23.10.2022).

Evil.81: Is This Amrkkka?: DJ Joe Nice Speaks, 2021
Video, Farbe, Ton
19:00 Min.
Text Cynthia Krell
Übersetzung Amy Patton
Foto Ines Könitz

In Auftrag gegeben von MACRO Rom:
„This Isn’t Theory. This Is History“
Text Joe Nice
Youtube 4/29/21
„Andrew Brown Protester BLASTS Biden When in the Hell Are You Helping Black People“
Musik MRVN G, ISHN SND, MSP, PE, LKJ, KRPTC MNDS, GTH TRD, CNSLDTDx2, ICEQB, STL PLZ
Editor Stephen Croker
Konzept & Design Tony Cokes

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