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20.24 Katarina Zdjelar
AAA ( Mein Herz )

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20.24 Katarina Zdjelar
AAA ( Mein Herz )
15.11.–31.1.25
Katarina Zdjelar arbeitet vorwiegend mit Bewegtbild, Installation, Sound, Performance und Publikation. Sie erforscht die Inszenierung und Konstruktion geschlechtlicher, kultureller und politischer Identitäten über historische und geografische Räume hinweg. Ein zentrales Thema ist die Beschäftigung mit der menschlichen Stimme, dem Klang und der artikulierten Sprache, sowie deren Aufführungsmodi. Dabei untersucht sie die ästhetische, performative und politische Bedeutung der Stimme. Mehr
Die Künstlerin versteht Sprache sowohl als Mittel der persönlichen Identitätsbildung als auch als Instrument politischer Ermächtigung im Spannungsfeld von privaten und öffentlichen Räumen. Der Körper wird dabei zum performativen Ausdrucksmittel und Resonanzraum für Stimme, Gesang und Musik, wie beispielsweise in den Videoarbeiten Stimme, 2013, oder The Perfect Sound, 2009.

Zu ihren künstlerischen Prinzipien gehören die Methode der Probe und verschiedene Aufführungsformen von Stimme und Musik, die Elemente wie Improvisation, produktives Scheitern und Neuinterpretation vereinen. Beispiele dafür sind Werke wie Untitled ( A Song ), 2016, My Lifetime ( Malaika ), 2012, und Shoum, 2009. In neueren Arbeiten wie der Installation Not A Pillar Not A Pile, 2017/2020, setzt sie sich mit pazifistischen und (proto-)feministischen Praktiken auseinander und verweist dabei auf Persönlichkeiten wie Käthe Kollwitz und Dore Hoyer.

Die Videoarbeit AAA ( Mein Herz ), 2016, zeigt in einer Großaufnahme und einer einzigen, ununterbrochenen Einstellung das Gesicht einer jungen Frau, die frontal in die Kamera blickt. Sie performt vier unterschiedliche musikalische Darbietungen gleichzeitig. Dabei entstehen keine medley-artigen Übergänge; vielmehr wechselt sie fragmentarisch und abrupt zwischen den Stücken. Jede Passage behält ihren eigenen Stil, ihr Tempo, ihren Rhythmus und ihre Tonalität bei. Auch die verwendeten Sprachen (Deutsch, Englisch, Polnisch) sowie die Mimik der Performerin ändern sich dabei unvorhersehbar und ruckartig. Die Darstellerin versucht das Unmögliche: Ihr Gesang thematisiert sowohl die Überwindung der Brüche zwischen den Fragmenten als auch die präzise Interpretation der stilistisch und sprachlich unterschiedlichen Stücke. Als Zuhörer:in ist man herausgefordert, die einzelnen Fragmente wie ein Puzzle zusammenzusetzen oder sie einem bestimmten Lied zuzuordnen. Doch der Versuch scheitert stets aufs Neue, da die Künstlerin aus Stille, Musik, Geräusch und Sprache eine bizarre, widersprüchliche Klanglandschaft erschafft. Katarina Zdjelar formuliert ihre Intention wie folgt: „Ähnlich wie das Wechseln der Radiosender auf der Suche nach dem richtigen Lied, bestand der lohnendste und herausforderndste Aspekt der Zusammenführung dieser Kompositionen in einer einzigen Aufführung darin, Unterbrechungen zu komponieren und aufzuführen, die gleichzeitig die verbindende Kraft darstellen.”¹

In Zdjelars Arbeit sind es die Nuancen und Feinheiten ihrer Auseinandersetzung mit der menschlichen Stimme, die ihre Werke komplex und vielschichtig machen. So fassen die Kurator:innen der Gruppenausstellung Acts of Voicing, Württembergischer Kunstverein, die Eigenheiten der Stimme mit den folgenden Worten zusammen: „Die Stimme ist schwer zu fassen. Anders als Auge oder Ohr ist sie nicht lokalisierbar, sondern ereignet sich in dem flüchtigen Zusammenspiel mehrerer Organe. Sie befindet sich immer zugleich innerhalb und außerhalb des Körpers, ist ebenso immaterial wie von beträchtlichem sozialem und politischem Gewicht. Sie bringt gleichermaßen Schrei und Rede, Sinn und Unsinn, Rauschen und Gesang hervor. Dabei ist sie nie nur Werkzeug der Artikulation, sondern immer auch mit Handlung, mit Performativität verschänkt.”²

In der hier gezeigten Videoarbeit sind es vor allem die Dissonanzen zwischen Bild- und Tonebene sowie der Umgang mit Brüchen und Pausen, die unsere gewohnten Wahrnehmungsmuster herausfordern. In AAA ( Mein Herz ) stehen die Körperlichkeit der Stimme und die Mimik der Performerin im Mittelpunkt. Das Gesicht der Darstellerin wird, wie Zdjelar selbst sagt, zum visuellen „Schlachtfeld“, auf dem die widersprüchlichen Emotionen der Musikstücke für wenige (Milli-)Sekunden sichtbar werden, um sich dann blitzschnell zu verflüchtigen, bevor wir sie überhaupt entschlüsseln können. Auf der klanglichen Ebene arbeitet sie mit dem Prinzip der Collage, indem sie vier Musikstücke fragmentiert und zu einem neuen Song zusammensetzt. Das Ergebnis ist eine poetische Kakophonie, die sich unseren westlich geprägten Hörgewohnheiten entzieht und sich durch gezielte Akzentuierungen zu einer neuen Erzählung verdichtet. Die verwendeten Musikstücke und ihre inhaltlichen Botschaften treten zunehmend in den Hintergrund. Vielmehr entstehen durch die Unterbrechungen und Pausen (auch semantische) Leerstellen, die wir mit unseren subjektiven Assoziationen füllen können.

In ihren Videoarbeiten zeigt Katarina Zdjelar eindrucksvoll die Faszination der menschlichen Stimme und die Vielfalt der Musik als kulturelles Medium. Durch überraschende Settings und Situationen, in denen die Akteur:innen und Performer:innen agieren, beobachtet sie die Ausdruckskraft der Stimme mit reduzierten filmischen Mitteln, ähnlich einer wissenschaftlichen Versuchsanordnung. Dabei choreografiert sie ihre Szenen sorgfältig und bewegt sich zwischen Prozess und Ergebnis. Mit der Dekonstruktion der Musikstücke und der Fokussierung auf die Performativität der Stimme schafft sie eine poetische Projektionsfläche, die vertraute Wahrnehmungsmuster durchbricht und das Universelle kultureller Produktivität hervorhebt. Ihre künstlerische Praxis erzeugt temporäre und semantische Ungleichzeitigkeiten und eröffnet Räume zwischen Erwartung und Überraschung, Choreografie und Improvisation. So entstehen zeitliche Leerstellen und thematische Tiefen, die sich erst auf den zweiten Blick erschließen.

Katarina Zdjelar ist in Belgrad aufgewachsen und lebt heute in Rotterdam und Belgrad. Zdjelar hat einen MA in Bildender Kunst vom Piet Zwart Institute in Rotterdam und einen Abschluss der Universität der Künste in Belgrad. Sie absolvierte einen zweijährigen Aufenthalt an der Rijksakademie van beeldende kunsten in Amsterdam. Im Jahr 2019 vertrat Katarina Zdjelar gemeinsam mit Zoran Todorovic Serbien auf der 53. Biennale von Venedig. Zu den jüngsten Einzelausstellungen zählen Ausstellungen in der Galerie SpazioA in Pistoia (2023), im The Cultural Centre of Belgrade, Belgrad (2023), im MSU in Zagreb (2022), im MMC KIBLA/KiBela in Maribor (2021) und im Oregon Contemporary in Portland (2021), im Casino Luxembourg (2018), im Salzburger Kunstverein (2018), in der Akademie der Künste der Welt in Köln (2016) sowie im Kunstverein Bielefeld (2014). Sie nahm an zahlreichen Gruppenausstellungen teil darunter beim Wildwuchs Festival in der Kaserne Basel (2023), im Garage Rotterdam (2022), im Museum of African Art in Belgrad (2022), in der Kunsthal Extra City in Antwerpen (2021), im Kunstraum Niederoesterreich in Wien (2021), im Bonnefantenmuseum Maastricht (2020), auf der 11. Berlin Biennale (2020), im HMKV in Dortmund (2020), im Museion in Bozen (2019), sowie im Muzeum Sztuki in Lodz (2019). Zuletzt erhielt sie den MMSU Award des 24. Zagreber Salons (2019), den Dolf Henkes Preis (2017) und war für den niederländischen Prix de Rome Award nominiert (2017, 2010).

www.katarinazdjelar.net

Text Cynthia Krell

AAA ( Mein Herz ),
2016
Video, Farbe, Ton
4:30 Min.
Courtesy die Künstlerin und SpazioA, Pistoia.

¹ Aus der E-Mail-Korrespondenz mit der Künstlerin vom 2. November 2024.
² Ausst. Kat. Stuttgart. Acts of Voicing, hrsg. von Christ, Hans D., Dressler, Iris, Peters, Christine, Württembergischer Kunstverein Stuttgart, Leipzig 2014, S. 11.

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